SciFi

Warum schreibe ich eigentlich ausgerechnet SciFi?

Der Anfang der Cybionic Trilogie spielt in Berlin. Kaum eine andere Stadt hat so viele unterschiedliche Realitäten durchlebt, so viele abrupte Umbrüche ertragen und sich jedes Mal wieder neu erfunden. Berlin verkörpert alle Themen, die mich seit Jahren interessieren: Wirklichkeit, Macht, Manipulation, Medien.
Außerdem hat Berlin einen festen Platz in meinem Herzen, seit ich in den neunziger Jahren dort leben durfte: Straßen ohne Namen, Universitätsbibliotheken, deren Inhalte plötzlich auf dem Bürgersteig lagen, da die alte Weltanschauung ausgedient hatte. Die besten Partys fanden auf den Dächern über der Stadt statt. Die Zukunft war weit weg, die Vergangenheit wurde gerade gelöscht. Damals habe ich nicht darüber nachgedacht, dass das Neue immer aus dem wächst, was vorher war. Das wurde mir zum ersten mal richtig bewusst, als ich Jahre später im ‚Centre of Applied Research for Art, Design and Technology‘ arbeitete und mein Professor mich von einem Archiv ins nächste schleppte. Nach dem Studium der Medienkunst hatte ich einen Master of Fine Arts im Bereich Dokumentationsfotografie/film erworben und damals beschäftigte ich mich mit der Frage, wie Kamerabilder die menschliche Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflussen.

Ab den frühen 2000er Jahren veränderte sich meine Arbeitsweise langsam, zunächst ohne das es mir selbst auffiel. Es tobte der zweite Irakkrieg, die ersten Handys mit eingebauter Kamera kamen auf den Markt. Im Winter 2003 wurde Saddam Hussein von amerikanischen Soldaten in einem Erdloch unweit von Tikrit entdeckt, drei Jahre später von einem Sondertribunal zu Tode verurteilt und kurz darauf, trotz internationaler Proteste, gehängt. Soweit just a little bit of history repeating. Einer der Anwesenden jedoch besaß ein Handy mit eingebauter Kamera. Als sich die Fallklappe unter Saddams Füßen öffnete, sah das kleine Kameraobjektiv zu. Das illegal gefilmte Video verbreitete sich Minuten später rasend schnell im Internet. Die Bilder waren unscharf aber gnadenlos echt. Für einen Moment hielten die Mächtigen der Welt ihren Atem an. Aus Angst vor Unruhen, aber schnell schlich sich vermutlich ein zweiter Gedanke in ihre Köpfe: Was, wenn ab jetzt jeder immer und überall so ein Handy bei sich tragen wird?
Durch dieses Ereignis habe ich meine erste Publikation geschrieben: »Pyjamocracy – how snapshots confuse our lives«. Seitdem überschlagen sich die technischen Entwicklungen und unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit verändert sich radikal. Das Internet ist allgegenwärtig und bringt uns Realitäts-Bubbles, Fakenews und Deepfakes. Fiktion und Wirklichkeit verschmelzen. Auch meine eigene Arbeitsweise wurde immer fiktiver, bis mich eines Tages jemand als SciFi Autor vorstellte. In dem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen, obwohl mich noch immer die selben Interessen motivierten, durch die ich einst mein Studium begonnen war, arbeitete ich schon lange nicht mehr in dem klassischen Dokumentar-Genre. Inzwischen sage ich es voller Überzeugung: ich schreibe SciFi, um die Gegenwart zu verstehen.